Eine schlichte SMS.
Er stirbt. Liegt im Krankenhaus.
Ich springe in die Hose, bitte die Kinder ihre Sachen alleine zu machen und fahre los.
Es ist früher Abend. Die Straßen schon recht leer. Gedanken überschlagen sich. Ein enger Jugendfreund liegt im Koma. Ohne Hoffnung 20 Minuten später bin ich da. Meine besten Freunde aus alten Zeiten sitzen mit Verwandten des Schwerkranken im Foyer. Lange haben wir uns alle nicht gesehen. Sehr lange nicht.
Viel ist seit dem passiert. Ein halbes Leben schrieb jeder von uns seine eigene Geschichte. Trägt Blessuren. Manche sichtbar, manche im Laufe des Abends erahnbar. Setze mich. Sie erzählen mir was geschah. Still hör ich zu. Denke an den Menschen, der da oben , eine Etage über mir liegt und von dem ich so traurige Nachrichten haarklein erzählt bekomme. Streptokokken sagen sie. Magengeschwürbruch. Bluttransfusion. Koma. Zerfressene innere Organe. Keine Chance auf Heilung. Die Sätze werden hämmernde Worte in meinem Kopf.
Stille. Denken. Der Kopf rattert. Trotz tödlicher Diagnose muss ich einen kurzen Moment lächeln. Wenn einer auf ein Wunder hoffen kann, dann er. Wenn einer die Kurve bekommt, dann er. Er ist einer von denen, den der Alk nie klein bekommen hat. Der fünf Kugeln aus nächster Nähe den Stinkefinger zeigte. Vier Mal persönlich vom Tod herausgefordert. Vier Mal war der Moment brenzlig. Jedes Mal hat er gewonnen.
Gestern hätte das fünfte Mal sein sollen.
Eine Intensivstation für Komapatienten. Herzklopfen und mein, nein unser Jugendfreund begleitet mich. Ich solle nicht hin, rieten mir die Verwandten. Er sähe nicht gut aus. Interessiert mich nicht. Sicher geh ich. Möchte ihn sehen. Mich verabschieden. Wenn es denn sein muss. Möchte ihm das Gefühl geben, das wir da sind. Das er nicht alleine ist.
Ungefähr 25 Monitore sind hinter seinem Bett. Jeder führt irgendwie zu seinem Körper. Dicke Schläuche. Dünne Schläuche. Mit und ohne Flüssigkeiten. Verschiedene Geräusche. Saugen. Pumpen. Unterschiedliche Lautstärken. Kahle Wände. Eine kahle Decke.
Da liegt er nun. Langsam treten wir an sein Bett. Meine Hand berührt vorsichtig seinen Arm. Mein Freund legt traurig seine Hand auf das Bein unseres gemeinsamen Freundes. Lange bleiben wir da. Erzählen ein paar Erinnerungen. Trösten den Schwerkranken. Merken Reaktionen bei ihm. Eine Träne die sein starres halb geöffnetes Auge verlässt. Ganz sicher war es eine Träne. Beide sind wir uns auch im Nachhinein sicher. Er merkt das wir da sind. Er reagiert. Versuchen ein wenig Mut zu machen. Überlegen ob wir eine Flasche Whiskey und drei Schachteln Kippen reinschmuggeln und die Nacht dort verbringen. So hätte ihm das gefallen. Genauso. Und nicht anders.
Machen wir natürlich nicht. Wir sind ja jetzt groß. Erwachsen. Erwachsene tun so was nicht. Bla bla. So ein shit… wir hätten nichts anderes machen sollen.
Heute morgen kam eine weitere SMS.
Dieses Mal hat er nicht gewonnen.
Auf bessere Zeiten mein Freund. Auf ein bisschen mehr Leichtsinn und Wahnsinn. Auf ein bisschen Glück…..
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